Fantasia – eine jahrhundertelange reiterliche Tradition
Die Fantasia ist eine jahrhundertelange reiterliche Tradition und Teil der aktuellen Identität des Maghreb. Sie steht in Verbindung mit der glorreichen kriegerischen Vergangenheit. Es gibt Fantasias, seit die Stämme Nordafrikas Kriegszüge auf Pferden durchführten. Mit den Fantasias halten die Berber eine 2000 jährige Kriegstradition aufrecht. Ihre Reiter zogen schon mit Hannibal über die Alpen, sie stellten sich die islamischen Invasoren entgegen und eroberten dann gemeinsam mit den Arabern Spanien. Über viele Generation hinweg haben sich die alten Reitkünste erhalten. Früher war sie überlebensnotwendig und heutzutage wird die Fantasia als Brauchtum und Kampfkunst gesehen und symbolisiert neben der traditionellen Verbundenheit auch die starke Beziehung zwischen Mann und Pferd. Jeder Reiter bereitet sich auf seine Art auf das großes Ereignis vor. Fantasia sind immer beides: martialisches Schauspiel und altehrwürdiges Ritual. Bewertet werden vor allen die Geschlossenheit und die Entschiedenheit des Angriffes sowie das reiterliche Können. Hier zählt nicht der Sieg sondern das Spektakel, nicht der Erfolg sondern die Teilhabe.
Der Begriff Fantasia wird von den Europäern benutzt, um ein Reiterspiel mit arabischen Reitern zu bezeichnen. Das Wort, das im Maghreb gebraucht wird, ist Baroud; das Spiel mit dem Pulver. In Friedenszeiten konnten sie so im spielerischen Wettkampf ihre Kräfte messen und ihre Schlagkraft erhalten. In den Reiterspielen simulieren die festlich gekleideten Reiter den unerschrockenen Angriff auf ihre Gegner. Überall im Maghreb sind die Ausstattung und der Schmuck von Pferd und Reiter maßgeblich für die Beurteilung durch die Jury, die aus Dorfältesten und hohen Würdenträgern besteht. Zu den großen Fantasias kommen Gruppen von mitunter über 1.000 Reitern.
Etwa zwanzig Reiter, manchmal auch viele mehr, aufgereiht in einer oder in mehreren Reihen, treiben ihre Pferde auf das Signal Ihres Chefs an. Sie rasen sie mit wehender Mähne über das weite Feld. In einem ungezügelten Lauf wirbeln die Männer ihre Gewehre, die sie in einer Hand halten, in der Luft über ihren Köpfen. Sie neigen sich am Körper ihrer Pferde entlang, berühren fast den Boden, und richten sich wieder an ihrem Reittier auf. In vollem Galopp erfassen sie ihre Waffen mit beiden Händen und feuern alle zugleich auf die Anweisung ihres Anführers hin Platzpatronen ab. Ein ohrenbetäubender Knall lässt Brustkorb und Bauch der Zuschauer erbeben. Weiße Rauchwolken steigen aus den Gewehren auf. Die Reiter halten ihre Pferde schlagartig an und der aufsteigende Staub vermischt sich mit dem Rauch des Pulvers. Mensch und Tier scheinen verschmolzen.
Bei der in Tunesien und dem östlichen Algerien verbreiteten Fantasia, die man auch RAZZIA nennet, schreitet der Einzelreiter zum Ende der mindestens 500 Meter langen Bahn, wendet sein Pferd und schnellt im Galopp die Bahn entlang. Er soll in den Bügeln des auf höchstem Tempo rennenden Pferdes stehen und die Flinte über die linke Hand anlegen. In der Linken hält er den Säbel aufrecht, so daß das attraktive Kreuzen der Waffen entsteht. Natürlich muß er auch schießen, doch wo er das tut, ist regional verschieden, ebenso wie das Ritual des Säbelziehens im Galopp. Gleich bleibt bei allen Formen der RAZZIA, daß er so regungslos wie möglich im Sattel stehen und die Waffen kreuzen soll.
In Algerien und Marokko ist die Fantasia eine Art Volkssport. Auf den traditionellen Festen Nordafrikas, wie Hochzeiten oder Heiligengedenktagen, sammeln sich die Fantasiareiter des Landstriches zu beachtlichen Gruppen von mitunter über 1000 Reitern und messen sich in den regional unterschiedlichen Reiterspielen, die landesübergreifend Fantasia genannt werden. Auf den Festlichkeiten zur Hochzeit der marokkanischen Prinzesin Lalla Amina lud der König Hassan II. neben vielen anderen Attraktionen 2000 Fantasiareiter ein. Überall im Maghreb ist die Ausstattung und der Schmuck von Pferd und Reiter sehr maßgeblich für die Beurteilung durch die Jury, die aus Dorfältesten und hohen Würdenträgern oder, bei staatlich ausgeschriebenen Veranstaltungen, aus hohen Staatsbeamten besteht.
Die eigentliche Fantasia Algeriens und Marokkos ist die BAROUDA, eine beeindruckende Gruppenfantasia abwechselnder Mannschaften. Die Einzelfantasia wird nur in Ostalgerien, nahe der tunesischen Grenze geritten und nennt sich hier FOUROUSSIYA. Die Barouda simuliert den unerschrockenen Angriff auf einen Gegner. Hierbei formieren sich die Gruppen am der Ehrentribühne gegenüberliegenden Ende der mehrere hundert Meter langen Bahn und richten ihre Pferde in gehörigem Abstand zueinander im Schritt aus. Auf den Ruf des Chefs machen die Reiter zeitgleich kehrt und stürmen im Galopp an, wobei sie stetig enger zusammen kommen, bis sie dicht vor der Tribüne eng an eng gleichzeitig schießen und stoppen. Wer aus der Riege gezwängt wird oder den Anschluß verpaßt, wendet seinen Hengst ab, um das Gesamtbild nicht zu stören. Faszinierend dabei ist die Darstellung von Extremen: verhaltener gemessener Schritt, der von einer Sekunde auf die nächste in einen rasenden angsteinflößenden Galopp und einen plötzlichen Stop umschlagen kann.
In Algerien wird auch die Synchronität des gemessenen Schrittanrittes mit in die Wertung einbezogen und es wird mit modernen Doppellaufflinten zweimal geschossen, einmal vor dem Aufmarsch und einmal im Galopp.
In Marokko sammeln sich die Reiter ohne Aufmarschordnung am Ende der Bahn und die Wertung beginnt mit dem Lossprengen im Galopp und Endet mit dem gleichzeitigen Schuß aus dem traditionellen Schwarzpulvergewehr und dem Stop aus vollem Galopp vor der Ehrentribühne.
Die Fantasia finden vornehmlich anlässlich der maraboutischen Versammlungen (Moussem/Ziara) statt, seltener bei Hochzeiten, denn sie sind sehr teuer. Während der Wallfahrten in der großräumlichen arabischen Ebenen und auf den algerischen Hochplateaus ist die Fantasia das spektakulärste Erlebnis. Die Versammlungen der Stämme finden unter einem großen Aufgebot an Prunk, Waffen, Kostümen und Ausstaffierungen statt. Der Mousssem von Sidi Mhammed ben Aouda, der den Flittas im Süden Relizane ist dafür ein schönes Beispiel.
Im Marokko gelten die Bewohner des Rifgebirges und der Doukkala-Region als größe Liebhaber der Fantasia, in Tunesien sind die Zlass in der Nähe von Kairouan ebenfalls für diese Kunst bekannt. Als bestes Beispiele für eine wunderbare Reiterveranstaltung ist die Fantasia heute Teil der Unterhaltung für Touristen, de jedoch nicht mehr das soziale Ansehen früherer Zeiten genießt. Man kann erleben, wie die Fantasiareiter ihre Pferde am Anfang der Bahn tanzen lassen, dann wie aus der Pistole geschossen dicht bei dicht auf die Tribüne zugaloppieren und durch gleichzeitigen Schuß und Stop das Publikum zum Jubeln bringen. Quelle: wikipedia.org, Die Tänze des Maghreb: Marokko – Algerien – Tunesien von Viviane Lièvre,Jean-Yves Loude,Renate Behrens