Islamismus und Bürgerkrieg
Islamismus und Bürgerkrieg (1989 – 2002)
Nach schweren Unruhen am 9. Oktober 1988 mit mehreren Hundert Toten musste Chadli eine Demokratisierung einleiten und 1989 einer neuen demokratischen Verfassung zustimmen. Sie sah die Trennung von Partei und Staat, parlamentarische Verantwortung, Pluralismus, politische Freiheiten und Garantien der Menschenrechte vor. Gleichzeitig mit der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage hatte, befördert durch die islamische Revolution im Iran, der Islamismus einen starken Aufschwung genommen; große Teile der Bevölkerung wandten sich nun vom Regime ab und der islamistischen Partei FIS (Front Islamique du Salut, Islamische Heilsfront) zu.
Am 26.12.1991 fand der erste Durchgang der Parlamentswahlen statt, die von der FIS mit 47% der Stimmen gewonnen wurden. Eine Vielzahl undurchsichtiger politischer Manöver war dem vorangegangen; innerhalb des Regimes bekämpften sich Reformer und Reformgegner. Die FIS, deren Anhängerschaft und Ideologie ebenfalls durchaus heterogen war, hatte durch ihren Vorsitzenden Abassi Madani und seinen Stellvertreter Ali Belhadj das Regime und die Armee herausgefordert und massive Drohungen ausgestoßen, die die Machthaber und Teile der algerischen Zivilgesellschaft nicht nur um Einfluss und Privilegien, sondern auch um ihr Leben bangen lassen mussten.
Der Wahlprozeß wurde daraufhin abgebrochen und vor dem zweiten Wahldurchgang 1992 übernahm das Militär unter Verteidigungsminister Khaled Nazzar die Macht, löste das Parlament auf, rief den Notstand aus, Verbot die FIS und zwang Chadli zum Rücktritt. Zeitweise übernahm Mohamed Boudiaf die Führung des Hohen Staatsrats. Seine geplante Reformpolitik konnte aber nicht mehr umgesetzt werden, da er am 29. Juni 1992 einem Attentat zum Opfer fiel. Bis 1994 regierte der Hohe Staatsrat unter der Leitung von Ali Kafi.
Dies führte zum Ausbruch eines blutigen Bürgerkriegs zwischen radikalen Islamisten und der Armee dem seither über 150000 Menschen zum Opfer gefallen sind. Auch nachdem die Regierung an Präsident Zeroual (1994 – 1999) übergeben wurde, dauerten die Terroraktionen der Islamisten an, auch wenn seit 1995 einige Erfolge durch die Sicherheitskräfte erzielt wurden. Bei den Islamisten kam es dabei auch zu mehreren Abspaltungen deren radikalste die GIA ist die für die blutigsten Terroranschläge verantwortlich ist.
Warum wurde der Wahlprozeß abgebrochen?
Das Spektrum der Interpretationen reicht von einer „Notwehrreaktion der Zivilgesellschaft“ gegen eine totalitäre islamistische Machtübernahme bis hin zu einem vom Regime gesteuerten Abbruch der Demokratisierung mit dem Wahlsieg der FIS als Vorwand. Im Anschluss kam es zum Bürgerkrieg, der von 1991 bis 2001 dauerte und in einigen Regionen heute noch nicht beendet ist. Er forderte bis zu 150.000 Opfer und endete mit einem Sieg der Regierung über die GIA (Groupe Islamique Armé) und der FIS nahestehenden AIS (Armée islamique du salut).
Das Problem der Patrioten
In den Jahren des Bürgerkrieges nach 1994 versuchte der algerische Staat, die Gesellschaft durch den Aufbau von militärischen Parallelstrukturen gegen den Aufstand der bewaffneten Islamisten zu mobilisieren; es wurden ländliche Milizen geschaffen und bewaffnet, etwa 80.000 Schusswaffen wurden ausgegeben. Bürgerwehren wurden gebildet, die ihre Dörfer bewachten und aufgrund ihrer Ortskenntnisse der Armee Informationen über die Operationen der islamistischen Terroristen lieferten.
Es gibt aber auch Berichte über die Verselbstständigung der Milizen und einzelne Übergriffe bis hin zu möglicherweise schweren Menschenrechtsverletzungen und über das teilweise Abgleiten in Kriminalität und ins Banditentum. Allerdings hatten die Milizen möglicherweise großen Anteil an der Niederschlagung des islamistischen Aufstandes, operierten aber praktisch in einem fast rechtsfreien Raum.
Verständlicherweise versuchte der Staat nach Abflauen des Bürgerkrieges die ausgegebenen Waffen wieder einzusammeln. Eine Aufweichung des staatlichen Gewaltmonopols ist auf Dauer nicht akzeptabel, doch hatten andererseits viele Milizionäre aus nachvollziehbaren Motiven Zeit, Gesundheit und ihr Leben eingesetzt, um die algerische Gesellschaft vor der Machtübernahme durch die Islamisten zu bewahren.
Viele derer, die damals aus ihrer Sicht ihr Vaterland verteidigten, beklagen heute Zurücksetzung und Geringschätzung seitens der offiziellen Politik, da ihr rechtlicher Status bisher offenbar nicht endgültig und eindeutig geklärt ist und entsprechende Ankündigungen und Versprechungen nicht praxistauglich umgesetzt wurden. Demgegenüber sind die Regelungen zur Wiedereingliederung reuiger Ex-Terroristen offenbar gut umgesetzt, was bei den Ex-Milizionären bzw. „Patrioten“ sehr aufmerksam registriert wird und zu Protesten und Aktionen geführt hat; in einer landesweiten Aktion wurde auf die nicht eingehaltenen Zusagen hingewiesen. Quelle: wikipedia.org