1. November 1954 – Ausbruch der algerischen Befreiungsrevolution
Als wichtigster Bezugspunkt der nationalen Identität Algeriens gilt bis heute der 1. November 1954. In Algerien wird der im November 1954 begonnene und mit der Unabhängigkeit vom Juli 1962 beendete Krieg »Revolution« genannt. Gefeiert wird er als Gründungsakt einer Nation, die ihre Souveränitätsrechte wiedergewonnen hat. Der Algerienkrieg war einer der blutigsten Befreiungskriege des 20. Jahrhunderts – dabei war Algerien offiziell gar keine Kolonie, sondern französisches Staatsgebiet. Der Prozess der Befreiung von kolonialer Herrschaft wird als tiefgreifendes Trauma erlebt: massive Zwangsumsiedlung ländlicher Bevölkerungsteile, Folterpraktiken, willkürliche Inhaftierungen und Hinrichtungen ohne Gerichtsverfahren.
Der Algerienkrieg steht in den Standarddeutungen für den Verrat einer westlichen Demokratie an ihren eigenen Prinzipien, für brutale Unterdrückung, immense Opferzahlen und die Etablierung systematischer Folter. Die eklatanten Menschenrechtsverletzungen unter sozialistischer, liberaler und konservativer Verantwortung wogen in einem Land besonders schwer, das mit Geschichte und Mythos der „droits de l’homme“ – als Herzstück der Französischen Revolution von 1789 – wie kaum ein zweites verbunden war.
Der Algerienkrieg belastet die französische Nation bis heute. Man sollte meinen, dass Frankreich nach dem Zweiten Weltkrieg genug gehabt hätte von Gewalt und Gefechten. Doch nur neun Jahre später befindet es sich mit Algerien im Krieg um dessen Unabhängigkeit. Der Algerienkrieg wurde von 1954 bis 1962 ausgefochten und markierte den Zusammenbruch der französischen Kolonialmacht. Der Unabhängigkeitskrieg kostete rund 1.5 Millionen Algerier und rund 25.000 Franzosen das Leben. Rund eine Million „pieds-noirs“ verließen verbittert das Land und siedelten sich zumeist in Südfrankreich an.
In Frankreich wird dieser Konflikt »Algerienkrieg« genannt, und zwar seit dem Votum der Nationalversammlung vom Juni 1999, das den Mythen von den »Operationen zur Aufrechterhaltung der Ordnung« ein Ende setzte. Dieser Konflikt wird immer noch wie eine schmerzhafte Seite der jüngsten Geschichte gelesen: keine offiziellen Gedenkfeiern anlässlich aussagekräftiger Daten (wie dem 19. März 1962, Moment der Unterzeichnung der Verträge von Evian), wenige bedeutende Spielfilme, keine universitären Forschungs- und Lehrzentren zu diesem Ereignis. Und doch stellt dieser siebenjährige Krieg, der zu seiner Zeit nie seinen wirklichen Namen zu sagen wagte, ein außergewöhnliches Moment in Frankreich dar: Er hat den Zusammenbruch der 4. Republik, den Aufbruch von einer Millionen » pieds-noirs« (den Europäern) und Harkis ins alte koloniale Mutterland, aber auch das Massaker an Tausenden von Harkis und deren Familienangehörigen in Algerien selbst ausgelöst.
1870 Crémieux-Gesetz und Deportation
Seit 1830 ist Algerien französische Kolonie. Das Land ist in drei Departments eingeteilt und gilt als französischer Boden. Aber die Menschen, die auf diesem Boden leben, haben nicht die gleichen Rechte: die Muslime werden im Vergleich zu den französischen Siedlern – genannt Pieds Noirs, das heißt „Schwarzfüße“ – wie Bürger zweiter Klasse behandelt.
Im Jahre 1870 ermöglichte das „Crémieux-Gesetz” allen Juden Algeriens, die französische Staatsangehörigkeit zu übernehmen. Die algerischen Muslime wurden in diesen Integrationsprozess allerdings nicht einbezogen: Formal waren sie Franzosen, doch handelte es sich um eine deformierte Staatsangehörigkeit. Die Muslime waren seit Napoléon III. Träger des „statut musulman“, der ihre besondere islamische Rechtssphäre zwar anerkannte, sie jedoch dadurch von der restlichen Bevölkerung ausgrenzte.
Für die muslimische Bevölkerung glich jenes Gesetz einer Provokation und führte trotz französischer Unterdrückung im Jahre 1871 zu einem Aufstand der Rahmaniyya- Bruderschaft unter der Führung von Mohammad al-Mukrani. Er wurde brutal niedergeschlagen. Eine noch größere Repression folgte. Hunderte der Aufständischen wurden danach noch hingerichtet, tausende inhaftiert. Es folgten weitere Landenteignungen, einige der als Führer des Aufstandes benannten wurden nach Neukaledonien deportiert, die sich dann auch an dem Aufbau der Schule von Louise Michel beteiligten.
„Arabisch ist meine Sprache, der Islam ist meine Religion, und Algerien ist mein Land“ – dieses Bekenntnis zur algerischen Nation hatte der islamische Rechtsgelehrte Abdelhamîd Ben Bâdis formuliert. Spätestens Mitte der 1930er Jahre wird es zum politischen Glaubensbekenntnis der algerischen Unabhängigkeitsbewegung.
Forderung nach „Atlantikcharta“
Bis 1947 haben die neun Millionen muslimischen Algerier kein Wahlrecht. Der Zugang zu den Universitäten und zu höheren Ämtern bleibt ihnen zumeist verschlossen. Viele müssen als Landarbeiter für die Pieds Noirs auf den Äckern schuften, die aber einst den Vorfahren der Landarbeiter gehörten.
Die Bewegung ist gespalten in viele unterschiedliche politische Lager, doch ein blutiger Zusammenstoß mit den Franzosen schweißt die verschiedenen Lager zusammen. Am 8. Mai 1945 ziehen in Sétif, in der nördlichen Region Constantine, Demonstranten mit algerischen Flaggen und Spruchbändern durch die Stadt. Sie fordern die Umsetzung der „Atlantikcharta“.
US-Präsident Franklin Roosevelt und der britische Premierminister Winston Churchill hatten 1941 diese Charta entworfen, die für die Selbstbestimmung aller Völker warb und zugleich ein wichtiger Schritt zur Gründung der UN war.
Die Franzosen fühlen sich von den Mai-Demonstranten provoziert und schießen in die Menge. 88 Europäer und mindestens 40.000 Algerier sterben – ein bitterer Empfang für die einen Tag später heimkehrenden algerischen Soldaten, die im Zweiten Weltkrieg in Europa auf der Seite Frankreichs gekämpft hatten.
„Die Schrecken der Region Constantine vom Mai 1945 überzeugten mich schließlich, dass es nur einen Weg gab: Algerien den Algeriern“, so der Bauernsohn Ahmed Ben Bella, der damals zu den Kriegsheimkehrern gehörte.
Gründung der ‚Nationalen Befreiungsfront‘
Ab diesem Zeitpunkt ist es für einen friedlichen Kompromiss zu spät. Daran ändert auch das 1947 eingeführte Wahlrecht für Muslime nichts. Zwar befürworten gemäßigte Anhänger der algerischen Nationalbewegung, dass ein souveränes Algerien Teil einer Französischen Union werden soll. Revolutionäre Nationalisten wie Ben Bella und Messali Hadj geben jedoch den Ton an mit ihrer Forderung nach der völligen Unabhängigkeit.
Mit Hilfe paramilitärischer Organisationen bauen sie ein geheimes Netzwerk auf. Der ägyptische Geheimdienst unterstützt sie mit Waffenlieferungen. Am 31.10.1954 schließlich gründet sich per Manifest die ‚Nationale Befreiungsfront‘.
Das erklärte Ziel war „den Wiederaufbau eines demokratischen und sozialen algerischen Staates im Rahmen islamischer Grundsätze“ herbeiführen – und zwar mit einem Aufstand am nächsten Tag, dem 1. November 1954. Die französische Regierung in Paris ist von der Kampfansage völlig überrascht.
„Algerien den Algeriern“
Laut dem deutschen Politikwissenschaftler Hartmut Elsenhans dachte niemand in London noch in Paris, dass die Entkolonisierung in Afrika südlich der Sahara oder im arabischen Raum unmittelbar auf der Tagesordnung stehe: „Im Mai 1954 glaubt man, dass die Entkolonialisierung in Asien abgeschlossen ist, und dass in Afrika in Jahrzehnten mit einer schrittweisen Übergabe der Unabhängigkeit zu rechnen ist. Und das wird durch den Algerienkrieg ausgeschlossen, weil der nun als großer Katalysator des Wunsches nach Unabhängigkeit im Ganzen arabischen und in Schwarzafrika fungiert.“
Nach 132-jähriger Kolonialherrschaft und acht Jahren blutigen Befreiungskampfes erlangte Algerien am 5. Juli 1962 seine Unabhängigkeit von Frankreich. Mit den Friedensverträgen von Évian wurde der Krieg im März 1962 schließlich beendet. Der Unabhängigkeitskrieg kostete rund 1.5 Millionen Algerier und rund 25.000 Franzosen das Leben. Rund eine Million „pieds-noirs“ verließen verbittert das Land und siedelten sich zumeist in Südfrankreich an.
An die Spitze des unabhängigen algerischen Staates wird einer der Anführer des Befreiungsschlags vom 1. November gewählt: Ahmed Ben Bella. Sein Traum, „Algerien den Algerien“ zurückzugeben, hatte sich erfüllt.
Ich wünsche Algerien zum heutigen 1. November 2019 Freiheit und Prosperität! Möge es die Last der französischen Besetzung hinter sich lassen und mutig in die Zukunft schauen!
Herzliche Glückwünsche euch! Ich bin Marokkaner und unbeschreiblich stolz auf euch! Dieses Jahr ist Algerien der Ort des Gipfeltreffen der Arabischen Liga (in wenigen Tagen), hat Algerien die palästinensischen Gruppen zusammengebracht, bemüht sich Algerien um die Heilung der Arabischen Liga von dem dummen Ausschluss Syriens. Ich drücke euch die Daumen für Erfolg und Gedeihen. Mit Palästina stets vor Augen werden ihr die richtigen Wege gehen.