Märchenreihe Maghreb #9 – Zwei Freunde
Jeden Freitag stellt uns der Geschichtenerzähler und Autor Naceur-Charles Aceval ein Märchen aus seinen Büchern vor und entführt uns mit seinen Geschichten und Weisheiten in die Märchenwelt des Maghreb.
„Menschen kommen, Menschen gehen! Allein das Wort reist und bleibt und erreicht immer sein Ziel.“ so fangen immer die Erzählungen von Naceur-Charles Aceval an, welche der Erzähler direkt aus dem Mund seiner Mutter gehört und die ihn von Kindheit an tief geprägt haben. Es sind die Geschichten und Märchen aus der Welt der Nomaden und dem Nomadenzelt seiner Kindheitstage und Vorfahren in den Hochebenen Algeriens, zwischen Meer und Wüste, zwischen Nomaden und Seßhaften, die direkt aus der mündlichen Erzähltradition des Maghreb entstammen.
Zwei Freunde
Aus dem Buch „Der Erzähler von Algier“, Oktober 2017, Papermoon-Verlag. Kostet 15,00€, Bestellung direkt bei Naceur-Charles Aceval.
Ein Sehender führte einen Blinden an der Hand. Die beiden Freunde wanderten ihrer Wege und überließen ihr Ziel dem Zufall und dem Schicksal.
Eines Tages wurden sie von der Dunkelheit überrascht. Um die Stadt mit ihren Lichtern zu erreichen, mussten sie einen kleinen Wald durchqueren. Der Sehende hatte Angst. Seine Schritte wurden unsicher, und er zitterte. Der Blinde spürte den plötzlich festeren Händedruck seines Freundes, das schnellere Atmen und fragte:
„Was hast du, mein Freund? Ich spüre deine Unruhe und kann förmlich dein Herzklopfen hören.“
„Eine Gestalt erhebt sich zwischen den Bäumen“, antwortete der Freund, „sie ist mindestens drei Fuß hoch, zwei lange Arme drehen sich im Kreis und ich sehe zwei leuchtende Augen! Es ist sicher ein Ungeheuer, das uns den Weg versperrt, ein Riesenungeheuer! Wir sind verloren!“
„Beruhige dich, mein Freund, schließe die Augen und gib mir die Hand,“ sprach der Blinde und führte den Sehenden sicheren Schrittes durch seine Angst.