Märchenreihe Maghreb #24 Ende – Der Zauberer von Fes
Sechs Monate lang Woche für Woche hat der Geschichtenerzähler und Autor Naceur-Charles Aceval jeden Freitag seinen Geschichtenkoffer geöffnet und seine Leser mit tiefgründigen Geschichten und Weisheiten aus der Märchenwelt des Maghreb verzaubert und viel Spaß und große Freude bereitet. Heute stellt er uns sein letztes Märchen aus der Märchenreihe Maghreb vor. Oft hat der Märchenerzähler Naceur-Charles Aceval seine Erzählungen so eingeleitet: „Überall wo Menschen sind, lebt das Wort und reist mit ihnen. Menschen die Geschichten erlebt, erzählt oder gehört haben kommen und gehen. Allein das Wort bleibt, reist und erreicht immer sein Ziel. Und wenn die Menschen längst fort sind, so lebt das Wort weiter und die Erzählungen reisen mit anderen Menschen. So ist das Wort heute zu Euch gekommen. Bewahrt es in Euren Herzen und erzählt es weiter, Euren Geschwistern, Euren Freundinnen und Freunden und Verwandten. Lasst es weiter reisen, das Wort!“
24 Geschichten sind es, in denen Aceval seine Märchenwelt vor dem Leser ausgebreitet und die Volksweisheiten des Maghreb dargestellt hat. Er brachte seine Leser diese faszinierende Tradition mit den märchenhaften Überlieferungen des Maghreb authentisch, humorvoll und anrührend näher. Es sind die Geschichten und Märchen aus der Welt der Nomaden und dem Nomadenzelt seiner Kindheitstage und Vorfahren in den Hochebenen Algeriens, zwischen Meer und Wüste, zwischen Nomaden und Sesshaften, die direkt aus der mündlichen Erzähltradition des Maghreb entstammen, welche der Erzähler direkt aus dem Mund seiner Mutter gehört und die ihn von Kindheit an tief geprägt haben. Weisheiten, die von den Vorfahren des Autors mündlich überliefert wurden. Aceval folgt mit seiner Erzählkunst dem Vorbild seiner Mutter und Großmutter, die beim algerischen Nomadenstamm Ouled Sidi Khaled als Erzählerinnen fungierten.
Die spannendsten, aufregendsten, lustigsten und nachdenklichsten Geschichten und Märchen hat Aceval zu einem faszinierenden Ganzen gebündelt und in einer Reihe von Büchern beim Papermoon-Verlag herausgebracht: „Der Erzähler von Algier“ Oktober 2017, „Kleine Märchen, große Weisheiten“ Mai 2017 und „Der Mann, der nicht sterben wollte“ Oktober 2015. Man kann direkt bei ihm signierte Bücher bestellen: Naceur Aceval Webseite.
Vielen herzlichen Dank an Naceur-Charles Aceval, dass wir diese Geschichten aus der Märchenreihe Maghreb kennen lernen durften.
Der Zauberer von Fes
Aus dem Buch „Der Erzähler von Algier“, Oktober 2017, Papermoon-Verlag. Kostet 15,00€, Bestellung direkt bei Naceur-Charles Aceval.
Tlemcen ist eine Stadt in Südwest-Algerien, nahe der Grenze zu Marokko. Einst lag sie in einer großen Provinz und stand unter der Herrschaft eines mächtigen Kalifen. Dort lebte ein junger Adliger ohne Besitz und ohne Reichtümer. Seine Börse war leer, sein Herz war kalt, und außerdem besaß er nur einen eingeschränkten Verstand. Jedoch wohnte in ihm der große und unstillbare Wunsch, über die Menschen zu herrschen.
Eines Tages hörte er von einem mächtigen Zauberer aus dem Nachbarland Marokko, der am Rande der Stadt Fes im Keller eines alten Hauses wohnte. Der junge Mann beschloss diesen zu besuchen, damit er ihm helfen möge seinen Traum zu verwirklichen. Eines Morgens nahm er also sein mageres Pferd und machte sich auf den Weg. Nach einer langen, beschwerlichen Reise erreichte er die Heilige Stadt Fes, die Stadt der hundert Moscheen, der Sufis und der Künste.
Am Abend seiner Ankunft öffnete der junge Adlige die Tür zu einem alten zerfallenen Haus und lief eine Laterne in der Hand die Treppe bis in den Keller hinunter. In einem großen Raum, der nach feuchter Erde und Weihrauch roch, sah er den Zauberer an einem alten Tisch sitzen, in die Lektüre eines großen Buches vertieft. Eine Hand hielt er in seinem Bart vergraben. Links und rechts auf dem Tisch leuchteten zwei lange Kerzen auf großen Ständern, die einen goldenen Glanz in dem sonst kargen und dunklen Raum verbreiteten. Der junge Mann grüßte den Zauberer erwartungs- und achtungsvoll. Der alte Mann, die Hand immer noch in seinem langen Bart versteckt, sprach ohne hochzuschauen: „ Du hast eine lange Reise hinter dir, junger Mann, was willst du von mir?“ Der junge Adlige erzählte ohne Umschweife von seinen Wünschen nach Macht und Ruhm: „Meister“, sagte er, „ich weiß, dass deine Magie unfehlbar ist und bitte dich mir diese Macht zu verkaufen. Dein Preis ist meiner.“
Der Zauberer meditierte einen Augenblick und antwortete mit einem wissenden Lächeln: „Ich gebe dir alles, was du willst, unter einer einzigen Bedingung: In genau einem Jahr bringst du mir persönlich eine in Zimtsauce geschmorte Lammkeule auf einem Rosinencouscous, und das Ganze in einer Schüssel aus Olivenholz.“
Der junge Mann versprach alles und war hocherfreut, dass er so unerwartet einfach davonkam. Der Magier hieß ihn zu gehen und löschte mit einer Handbewegung die zwei Kerzen aus. Plötzlich befand sich der junge Mann wie durch Zauber in seinem armseligen Zimmer in Tlemcen. Tage und Wochen vergingen. Plötzlich aber lachte ihm das Glück, und er wurde reicher und reicher. Man bot ihm einen Posten als Kadi an. Er wurde also zum höchsten Richter der Stadt ernannt, obwohl er kaum seinen Namen schreiben konnte. Er wurde in der Stadt bekannt und geachtet. Nach sechs Monaten ernannte man ihn zum Wesir. In der Geschichte der Menschheit hatte man einen so steilen Aufstieg noch nie gesehen. Nach dem Tod des mächtigen Kalifen trat der junge Mann dessen Nachfolge an. Er regierte nun über eine große Provinz und war der Kommandeur aller Gläubigen. Macht und Reichtum lagen ihm zu Füßen.
Nachdem ein Jahr vergangen war, dachte der Kalif eines Morgens an den Zauberer und dass es an der Zeit war seine Schuld zu begleichen. Dieser Tag war ihm jedoch gar nicht recht, denn er hatte vor, einige wichtige Staatsoberhäupter zu empfangen und somit keine Zeit für den Zauberer. Er beauftragte einen Diener, eine Lammkeule in Zimtsoße zuzubereiten und dem Zauberer nach Fes zu bringen. Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, da befiel ihn eine große Müdigkeit und seine Augenlider wurden schwer. Die Welt um ihn versank im Dunkeln, und er schlief ein. Als er aufwachte, kam ihm ein bekannter Geruch von feuchter Erde und Weihrauch entgegen, und er bemerkte, dass er sich auf der nackten Erde im Zimmer des Zauberers befand. Er rieb sich die Augen, sah, wie der Alte sich über ihn neigte und hörte ihn folgendes sagen:
“Mein Junge, nur eine Stunde hast du geschlafen und dein Schicksal nur geträumt. Jetzt weiß ich, dass du des Ruhmes und der Macht nicht würdig bist. Du wirst niemals Kadi, Wesir und schon gar kein Kalif werden. Du wirst immer ein armer Mann bleiben, in einer grauen Welt leben und ich, ich werde den Geschmack einer gebratenen Lammkeule in Zimtsauce niemals kennen lernen. Aber wenn du willst, komm näher und teile mit mir meine Linsenmahlzeit.“ So sprach der Zauberer mit einem traurigen Lächeln auf den Lippen. Das Licht des aufgehenden Mondes brach durch das Kellerfenster herein, und das Mondlicht ist nicht die einzige Wahrheit in dieser Geschichte.