Märchenreihe Maghreb #15 – Der Alchimist und das Couscous
Jeden Freitag stellt uns der Geschichtenerzähler und Autor Naceur-Charles Aceval ein Märchen aus seinen Büchern vor und entführt uns mit seinen Geschichten und Weisheiten in die Märchenwelt des Maghreb.
„Menschen kommen, Menschen gehen! Allein das Wort reist und bleibt und erreicht immer sein Ziel.“ so fangen immer die Erzählungen von Naceur-Charles Aceval an, welche der Erzähler direkt aus dem Mund seiner Mutter gehört und die ihn von Kindheit an tief geprägt haben. Es sind die Geschichten und Märchen aus der Welt der Nomaden und dem Nomadenzelt seiner Kindheitstage und Vorfahren in den Hochebenen Algeriens, zwischen Meer und Wüste, zwischen Nomaden und Seßhaften, die direkt aus der mündlichen Erzähltradition des Maghreb entstammen.
Der Alchimist und das Couscous
Aus dem Buch „Der Erzähler von Algier“, Oktober 2017, Papermoon-Verlag. Kostet 15,00€, Bestellung direkt bei Naceur-Charles Aceval.
Es war einmal vor sehr langer Zeit in einem Land namens Jemen, als dort die Königin von Saba herrschte. Eines Tages erkrankte die Königin an einer seltsamen Krankheit. Sie war von morgens bis abends traurig, lachte nicht, redete kaum und lebte nur noch in dunklen Räumen. Heute ist die Krankheit unter dem Namen Depression bekannt. Ihr Gemahl, der König, ließ von nah und fern Ärzte und Heiler kommen, aber keiner konnte ihr helfen. Und so lebten auch der König und sein Volk in tiefer Trauer.
Eines Tages kam ein seltsamer Mann aus einem fernen Land namens Maghreb zum Königspalast. Vom Beruf war er Alchimist und behauptete, er könnte mit Gottes Hilfe die Königin heilen.
Der König sprach:
„Wenn du in meiner Königin die Lebensfreude wieder erweckst, mache ich aus dir einen reichen und berühmten Mann. Verlange, was du brauchst.“
Und er stellte ihm seinen Wesir zur Seite. Der Alchimist übergab diesem die Zeichnung eines zweiteiligen Gefäßes, das man schnellstens anfertigen sollte. Dann schrieb er auf eine Liste verschiedene Zutaten, wie Mehl, Lammfleisch und allerlei Gemüse. Nachdem der Fremde alles bekommen hatte, zog er sich in die Küchenräume zurück, holte aus seiner Ledertasche einen Beutel mit einer speziellen Gewürzmischung und machte sich an die Arbeit.
Nach ungefähr drei Stunden schwebte ein milder, süßlicher, völlig unbekannter Duft durch die Räume des Palastes. Nach weiteren zwei Stunden erschien der Alchimist und trug eine große Schale, gefüllt mit kleinen runden gelblichen Körnern, auch Engelstränen genannt. Darauf lagen Fleisch und Gemüse und alles mit einer roten dicklichen Soße überzogen. Der Alchimist begab sich zur Königin, stellte ihr die Speise zu Füßen und sprach:
„Herrin, esst jeden Tag davon, und ihr werdet gesund.“
Also aß die Königin jeden Tag verschiedene Arten von Couscous, und tatsächlich sah man sie am siebten Tag fröhlich und lachend in den Gärten spazieren gehen. Sie war geheilt! Der König bat den Alchimisten, bei ihm zu bleiben, um diese Kochkunst seinen eigenen Köchen beizubringen. So kam das Couscous das erste Mal außerhalb des Maghreb unter die Menschen.
Liebe Leser, als Kind habe ich geglaubt, dieser Alchimist sei mein Urahn. Heute bin ich überzeugt, dass er es tatsächlich war, denn ich besitze genau seine Gewürzmischung. Sie ist mir wie die Märchen von meinen Vorvätern überliefert worden. Wenn wir einmal zusammen kommen, werde ich gerne ein Couscous für euch zubereiten und euch vielleicht weitere Nomadengeschichten erzählen. Bis dahin sage ich „Salama- Aleikum“