Märchen aus dem Maghreb
Märchen sind in der maghrebinischen Kultur etwas besonderes. Genau so wie das traditionelle Couscous im Maghreb einen besonderen, ‚heiligen‘ Charakter hat, und als Opfergabe zu besonderen Anlässen gegeben wird, so gilt auch für das Erzählen von Märchen:
sie sind ein Geschenk, eine Opfergabe! Die Frauen (traditionellerweise sind die Frauen die Märchenerzähler) erzählen Märchen nicht am Tage. Bei Tageslicht zu erzählen gilt als Frevel, und man glaubt, dass es einen Fluch mit sich bringe: erzählt eine Frau ein Märchen vor Einbruch der Dunkelheit, bekommt sie eine seltene Schorfkrankheit und verliert ihre Haare. Nur einige wenige eingeweihte Frauen kennen das Ritual, mit welchem sie diesen Fluch umgehen und auch bei Tageslicht eine Geschichte erzählen können.
Aber nicht nur die Tageszeit ist beim Erzählen von Märchen zu beachten, es ist auch wichtig den Erzähler darum zu bitten, sein Geschenk, seine Opfergabe darzubringen. Oft werden die Mutter geradezu gedrängt, endlich ein Märchen zu erzählen. Der Märchenerzähler will sicher sein, dass seine Zuhörer mit Leib und Seele seiner Geschichte lauschen, „ganz Ohr“ sind, wie es auf Deutsch so schön heisst!
So fängt man mit der Märchenerzählung:
الكلمة تلحق دائماً مولاها، واليوم يا حبابي الكلمة راهي عندكم
Menschen kommen und Menschen gehen, Menschen die Geschichten erlebt, erzählt oder gehört haben kommen und gehen. Das Wort bleibt, das Wort reist und erreicht immer sein Ziel. Quelle: Naceur Aceval