Märchenreihe Maghreb #6 – Die drei Freunde
Jeden Freitag stellt uns der Geschichtenerzähler und Autor Naceur-Charles Aceval ein Märchen aus seinen Büchern vor und entführt uns mit seinen Geschichten und Weisheiten in die Märchenwelt des Maghreb.
„Menschen kommen, Menschen gehen! Allein das Wort reist und bleibt und erreicht immer sein Ziel.“ so fangen immer die Erzählungen von Naceur-Charles Aceval an, welche der Erzähler direkt aus dem Mund seiner Mutter gehört und die ihn von Kindheit an tief geprägt haben. Es sind die Geschichten und Märchen aus der Welt der Nomaden und dem Nomadenzelt seiner Kindheitstage und Vorfahren in den Hochebenen Algeriens, zwischen Meer und Wüste, zwischen Nomaden und Seßhaften, die direkt aus der mündlichen Erzähltradition des Maghreb entstammen.
Die drei Freunde
Aus dem Buch „Der Mann, der nicht sterben wollte“, Oktober 2015, Papermoon-Verlag. Bestellung direkt bei Naceur-Charles Aceval.
Die Geschichte erzählt von drei Freunden, die schon als Kinder gemeinsam die Koranschule besuchten. Als junge Männer reisten sie viel, erlebten einige Abenteuer und teilten alles miteinander. Dann war die Zeit reif zu heiraten und eine Familie zu gründen. Von nun an trafen die drei Freunde sich nur noch zu besonderen Anlässen. Aber das Band der Freundschaft blieb bestehen.
Eines Tages sagte die Frau eines der drei Männer mit dem Namen Nasser:
„Das Opferfest rückt näher, und wir haben seit Jahren kein Lamm mehr geschlachtet. Ich weiß, dass wir nicht viel Geld haben, aber dieses Mal sollst du uns ein Lamm besorgen, denn ich möchte eine Opfergabe mit Couscous und Gebäck für den Heiligen Sidi Khaled bereiten.“ Der Mann überlegte kurz, rief seinen Sohn und sprach:
„Geh zu meinem Freund El-Hadj und bitte ihn, mir Geld zu leihen, damit ich ein Lamm kaufen kann.“ Als der Sohn die Botschaft überbrachte, bekam er die gewünschte Summe in einem roten Lederbeutel mit der Aufforderung, so schnell wie möglich nach Hause zu gehen. Als der Vater das Geld bekam, war er voller Freude und wandte sich mit folgenden Worten an seine Frau:
„Du kannst schon mit unserer Tochter das Opferfest vorbereiten. Ich gehe inzwischen mit unserem Sohn auf den Viehmarkt, um ein Lamm zu kaufen.“ Kaum waren sie unterwegs, kam ihnen Benaouda, der dritte Freund, entgegen. Die beiden Männer umarmten und begrüßten sich, und Benaouda sagte:
„Gerade wollte ich zu dir kommen, um dich zu bitten, mir etwas Geld zu leihen. Meine Frau lässt keine Ruhe, sie möchte ein Opferlamm zubereiten.“
Ohne lange zu zögern, holte Nasser den roten Lederbeutel von El-Hadj aus seiner Tasche und übergab ihn Benaouda. Dieser bedankte sich herzlich und machte sich hocherfreut auf den Weg, um ein Lamm zu kaufen. Nasser kehrte mit seinem Sohn, aber leeren Händen nach Hause zurück. Seine Frau wunderte sich:
„Ihr seid so schnell zurück? Wo ist das Lamm?“ Nasser erzählte seiner Frau, wie sein Freund ihm erwartungs- und hoffnungsvoll entgegen kam, und er nicht anders konnte, als ihm den Beutel voller Geld zu geben. Die Frau war nicht erfreut, erwiderte aber:
„So bist du eben, da kann man nichts machen, dann verschieben wir das Opferlamm auf nächstes Jahr.“ Sie ging in die Küche, um Kaffee zuzubereiten. Der Vater erzählte den Kindern Geschichten. Kurze Zeit später klopfte es an der Tür. Sein Freund El- Hadj, der ihm das Geld geliehen hatte, stand da. Freudig bat Nasser ihn herein. Nachdem sie Kaffee getrunken hatten und sich etwas unterhielten hatten, zog El-Hadj den roten Lederbeutel aus der Tasche. Erstaunt fragte Nasser sein Freund:
„Wie kommst du zu diesem Beutel?“
El-Hadj erwiderte: „Ich möchte von dir wissen, wem du den Beutel gegeben hast.“ Nasser erzählte, wie er Benaouda auf dem Weg zum Markt begegnet war und dieser ihn um Geld gebeten hatte.
„Da konnte ich nicht anders und musste ihm das Geld geben.“
„Das habe ich mir gedacht“, sagte El-Hadj, „Als dein Sohn kam, wollte ich mit dem Geld selbst ein Lamm kaufen, und nachdem ich deinem Sohn das Geld gegeben hatte, ging ich zu Benaouda, um ihn um Geld zu bitten. Zu meinem größten Erstaunen gab er mir den eigenen Beutel. Jetzt bin ich hier, um dir zu sagen, dass nun alle drei Familien das Opferfest zusammen feiern sollten.“
Der Sohn von Nasser erzählte die Geschichte seinen Freunden. Diese wiederum erzählten sie ihren Eltern, und so hat sich die Geschichte schnell verbreitet. Am Freitag wurde sie sogar vom Imam in der Moschee als Beispiel für wahre Freundschaft erzählt.
Diese Geschichte, liebe Leser, sollte weitererzählt werden, damit ihre Reise nicht endet.