Rezensentin Angela Schader fühlt mit: Schütteln und anbrüllen möchte sie die Ich-Erzählerin in Kaouther Adamis Roman „Steine in meiner Hand“, ihr vor Augen führen, was für Möglichkeiten, was für Freiheiten ihr offenstünden, einer Frau mit so viel poetischem Feingefühl, mit so viel Klugheit, Humor und so viel Geschichte, wenn sie nur endlich aufhören würde, undankbaren Männern hinterherzulaufen, zuhause rumzuhocken und sich zu grämen und sich an den Erwartungen ihrer Umwelt aufzureiben. So verantwortlich fühlt sich Schader, dass sie gerne das ganze Buch einpflanzen und reifen lassen würde, denn, groß und stark ist es leider nicht, nur ein eventuell fruchtbarer Kern, eine Anlage steckt darin. Schlichtweg unglaubwürdig scheint es der Rezensentin, dass eine so begabte, so intelligente Erzählerin sich so unfassbar idiotisch benimmt. Dass Adimi genau diese „Irritation“ beabsichtigt haben könnte, macht es auch nicht besser, denn selbst, wenn es funktionieren würde, wäre da noch all das erzählerische Potential – eine interessante Mutter-Figur, eine extreme Vergangenheit in der Heimat Algier, spannende Bekanntschaften… – Potential, das, wenn ungenutzt, immer zur Schwäche eines Romans wird, so die kopfschüttelnde Rezensentin.
Steine in meiner Hand von Kaouther Adimi
Steine in meiner Hand von Kaouther Adimi. Roman. Aus dem Französischen von Regina Keil-Sagawe. Lenos Verlag, Basel 2017.
Maghreb Magazin stellt regelmäßig Bücher aus und über dem Maghreb vor. Dazu zählen ausgewählte Werke der Literatur auf Deutsch und ins deutscher Übersetzung, deren Handlung im Maghreb spielt oder dort ihre Wurzeln haben. Die maghrebinische Literatur ist geprägt von der Kolonialgeschichte, Exil und Migration, Fundamentalismus, aber auch Hoffnung auf Veränderung und umfasst Literatur in verschiedenen Sprachen – arabischen, französischen und amazighischen – mit verschiedenen Stilen und Themen sowie historischen Hintergründen. Sie zeichnet sich durch einen hohen Grad an Welthaltigkeit und führt den Leser so in eine andere Region mit all ihren Verwerfungen, Brüchen, Katastrophen…
Verglichen mit der jungen arabischsprachigen Literatur des Maghreb erfreut sich die frankophone Literatur zweifellos eines großen Ruhms auf der ganzen Welt. Die französisch geschriebene Literatur des Maghreb gilt als eine lebendige Auseinandersetzung mit Tradition, Geschichte und aktuellen Lebensbedingungen. Als Tahar Ben Jelloun, der meisübersetzte und prominenteste marokkanische Gegenwartsautor, 1987 mit dem Prix Goncourt für seinen Roman „Die Nacht der Unschuld“ ausgezeichnet wurde, hat dies der gesamten Maghrebliteratur einen Popularitätsschub beschert. Die frankofone Literatur des Maghreb ist seitdem im deutschen Sprachraum verstärkt wahrgenommen worden, besonders nachdem maghrebinische Autorinnen und Autoren französischer Sprache mit wichtigen internationalen Preisen ausgezeichnet wurden, u.a. Tahar Benjelloun, Kateb Yassine, Assia Djebbar, Boualem Sansal, Hédi Kaddour, Kamel Daoud, Yasmina Khadra uvm. Einige couragierte Verlage (etwa Verlag Donata Kinzelbach, Unionsverlag, Lenos, Eichborn, Rotbuch, Edition Orient) haben vornehmlich marokkanische, algerische und tunesische Autoren in guten Übersetzung in ihrem Programm. Der Verlag Donata Kinzelbach hat in 30 Jahren Existenz 122 Titel von 68 Autoren aus dem Maghreb herausgebracht.
Kaouther Adimi – Steine in meiner Hand
Steine in meiner Hand von Kaouther Adimi. Roman. Aus dem Französischen von Regina Keil-Sagawe. Lenos Verlag, Basel 2017, ISBN 9783857874802. Gebunden, 180 Seiten, 19,90 EUR
Aufgewachsen in Algier, baut sich die junge Erzählerin in Paris ein eigenständiges Leben auf. Als anlässlich der Hochzeit ihrer Schwester ein Besuch in der Heimat bevorsteht, wird sie von ihrer Vergangenheit, den Erwartungen der Familie und ihren eigenen Ängsten und Fragen an die Zukunft eingeholt. Klug und bisweilen schwankend zwischen Nostalgie und frechem Witz durchleuchtet sie ihre traditionelle Erziehung ebenso wie ihre Freuden und Leiden in der europäischen Großstadt. Vor allem aber macht ihr das halbfreiwillige Singledasein als Dreißigjährige zu schaffen. In ihrem zweiten Roman beobachtet Kaouther Adimi den Balanceakt einer jungen Frau, die ihre Identität zwischen unterschiedlichen Welten und Lebensentwürfen sucht. Wunderbar selbstironisch und humorvoll umkreist sie diese grossen Fragen des Lebens und lässt dabei tief in die Befindlichkeit einer ganzen Generation blicken.
Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 17.11.2017
Über die Autorin Kaouther Adimi
Kaouther Adimi, geboren 1986 in Algier, lebt und arbeitet seit 2009 in Paris. Ihr erster Roman, „Des Ballerines de papicha“, erschien 2010 in Algerien und wurde 2011 unter dem Titel „L’Envers des autres auch beim französischen Verlag Actes Sud aufgelegt“. Inzwischen hat sie ihren dritten Roman veröffentlicht.
Warum Adimi auf Französisch und nicht auf Arabisch – ihrer Muttersprache – schreibe? Als Vierjährige wurde sie von ihren Eltern mit nach Paris genommen und besuchte dort bis zu ihrem achten Lebensjahr französische Schulen, So Adimi. Es sei sicher auch für einen Linkshänder schwer, wenn er lange zum Rechtshänder umerzogen wurde, wieder mit links zu schreiben. So sei es bei ihr mit der französischen Sprache. Später habe sie dann auch in Frankreich studiert. Daher sei es für sie nur selbstverständlich auf Französisch zu schreiben.