Mohammed Dib – algerischer Romancier
Mohammed Dib (*1920 in Tlemcen – ✝02.05.2003 im französischen Exil in Paris), ist ein algerischer Romancier und einer der bekanntesten algerischen Schriftsteller in französischer Sprache, der zu den Autoren gehört, die Weltliteratur geschrieben haben.
Er schrieb seine Werke – Kinderbücher, Lyrik, Erzählungen und Romane – in französischer Sprache. Mohammed Dib gehört zu den Gründern der antikolonialistischen algerischen Nationalliteratur französischer Sprache. Er war seit 1949 Mitglied der „Schule von Algier“, die sich um Autoren wie Albert Camus, ldete. Außerdem zählt Dib zur so genannten „Generation 1952“, die den Unabhängigkeitsprozess des nordafrikanischen Landes und des Maghreb insgesamt literarisch begleitete. Zu dieser „Generation“ gehörten auch die algerischen SchriftstellerMouloud Feraoun, Mouloud Mammeri und Kateb Yacine, der Marokkaner Driss Chraïbi sowie der Tunesier Albert Memmi.
Wie kein anderer algerischer Schriftsteller hat Mohammed Dib die verschiedenen für seine Landsleute relevanten Erfahrungen in den beiden letzten Dritteln dieses Jahrhunderts in Literatur verwandelt und sie damit gewissermassen zum erinnernden, reflektierenden und vorwärtsträumenden Gebrauch zur Verfügung gestellt – von der vorrevolutionären Welt der Kolonisierten über die traumatische Zeit des Befreiungskrieges, die trostlose Situation der Emigranten in der Hauptstadt der einstigen Kolonisatoren und die kritische Darstellung der autoritären und technokratischen Verhältnisse im befreiten Heimatland bis hin zu den melancholisch-kosmopolitischen Träumen eines Migranten, dem im Heimatland der Tod drohen würde.
Algerische Chronik
Mohammed Dib wurde 1920 im westalgerischen Tlemcen geboren, einer hoch gelegenen Stadt nahe der marokkanischen Grenze inmitten von Oliven-, Feigen- und Weingärten und mit grandiosen andalusisch-maghrebinischen Architekturen. Der Sohn einer verarmten Mittelschichtfamilie, der sehr früh schon den Vater verloren hat, beginnt bereits im Alter von 15 Jahren mit dem Schreiben erster Gedichte. Mit achtzehn unterrichtet er als Lehrer im marokkanischen Oujda, verdient sich später seinen Lebensunterhalt als Weber, Buchhalter und Übersetzer für das französische und britische Militär, schreibt als Journalist für die Zeitung «Alger républicain» und für «Liberté», das Organ der Kommunistischen Partei – und studiert Literatur an der Universität von Algier. In seiner Freizeit hatte er schon früh zu malen begonnen; er schrieb hermetische, vieldeutige Gedichte und versuchte sich in Prosaschilderungen der algerischen Realität. Materielle Sorgen veranlassten ihn, aus den «Schreibübungen, diesem verrückten Spiel», eine Profession zu machen. Das Ergebnis war die «Algerientrilogie». 1952 erschien «La Grande Maison» (Das große Haus); 1954 «L’Incendie»(Der Band); 1957 «Le Métier à tisser» (Der Webstuhl) – drei Romane über das «traditionelle» Leben der Kolonisierten, die in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre in Ostberlin auf Deutsch erschienen.
Vor allem «Das grosse Haus», eine faktenreiche und Aufbruchstimmung vermittelnde Sozialreportage von innen und unten, wurde zu einem bis heute in Algerien hochgeschätzten und in den siebziger Jahren für das Fernsehen verfilmten Klassiker. «Meine Kindheit», sagte Dib einmal unter Anspielung auf den Protagonisten des Romans, den Hunger und Not, Unterdrückung und Degradierung erlebenden Omar, «war nicht die von Omar, aber alles, was über Omar und sein Milieu berichtet wird, wurde unmittelbar der Realität entnommen. Es gibt kein einziges Detail, das erfunden wäre.»
1954, im Jahr des Sieges der Vietnamesen über die französische Kolonialmacht bei Dien Bien Phu, begann in der Kabylei und im Aurès- Gebirge der algerische Befreiungskampf. Frankreich reagierte darauf mit einer Verstärkung seiner Truppen, Vertreibungen, «verbotenen Zonen», einem Vernichtungskrieg, dem etwa eine Million Algerier zum Opfer fielen.1959 erschien Dibs Roman «Un été africain», in dem er die psychischen Folgen des Algerienkriegs auf seiten der einheimischen Bevölkerung schilderte. Im selben Jahr wurde Dib nach einer Hausdurchsuchung von den französischen Behörden aus seiner Heimat ausgewiesen. Seitdem lebte er im französischen Exil.
Krieg als Apokalypse
In Paris schrieb er seinen ersten nichtrealistischen Roman, «Qui se souvient de la mer» (1962). Auf die Frage, warum er darin die Schrecken des Kriegs auf so surreale Weise dargestellt habe, antwortete er mit dem Hinweis auf Picassos «Guernica» und der Frage: «Wie kann man nach Auschwitz, nach dem Warschauer Ghetto, nach Hiroshima über Algerien schreiben?» Picassos Bild zeige kein einziges realistisches Element, sondern die Albträume, die ihn und andere verfolgten. Als einen «Geburtshelfer der Träume» sah Dib auch sich selber. Was er zu schildern versuche, gleiche bald dem Paradies, bald der Hölle und oft beidem zugleich und lasse sich nur durch apokalyptische Traumvisionen ausdrücken.
>Der algerische Befreiungskrieg wird in «Qui se souvient de la mer» aus der Sicht eines arbeitslosen Familienvaters als gespenstisches Trauma geschildert: Mauern verschieben sich, schliessen Menschen ein; kriegerische Vögel bringen Feuerregen und Blutströme: Minotauren mit Flammenwerfern bewachen Kreuzungen, verbreiten Angst. Man hört das Wühlen von Maulwürfen, die prasselnden Schläge unterirdischer Bauarbeiten. Menschen versteinern, verwandeln sich in Mumien. Einzig die Frau des Berichtenden, Nafissa (nafs = Atem; nafissa = Seele), verkörpert so etwas wie Hoffnung. Immer wieder ist sie auf rätselhafte Weise abwesend; es kommt zu verheerenden Explosionen; und immer wieder kehrt sie zurück, wachsam, heiter, verständig – eine mythische Gestalt: Frau, Mutter (mère) und Meer (mer) – ein Teil des alterslosen, geschichtenerzählenden Meers, das allein die zerstörte Stadt wieder mit Leben füllen kann.
Mohammed Dib kehrte nach dem Ende des Befreiungskriegs 1962 nicht nach Algerien zurück, wo ein Militärregime, das zur Absicherung seiner Macht ein Arrangement mit dem Islam suchte, immer weniger Raum für die Hoffnung auf eine freie Mitwirkung der Bevölkerung bei der Gestaltung ihres Landes und ihres Lebens liess. Nach mehreren Romanen, die sich mit der postkolonialen Entwicklung in seiner Heimat auseinandersetzten, thematisierte Dib 1977 in «Habel» erstmals die Erfahrungen des Exils. Er gestaltete darin den Konflikt zwischen den Verpflichtungen gegenüber der Heimat mit ihren Problemen und dem zerrissenen Leben des Emigranten im Dickicht einer europäischen Grossstadt, indem er die «Prostitution» des Exilschriftstellers in seiner Opferrolle mit der Selbstgerechtigkeit seines in Algerien gebliebenen Bruders konfrontierte.
Norden und Süden
Von 1967 bis 1977 lehrt Dib, vom französischen Kulturminister Jean-Jaques Aillagon als ‚Brücke zwischen Algerien und Frankreich, zwischen dem Norden und dem Mittelmeerraum‘ gewürdigt, an der University of California in Los Angeles sowie an der Pariser Sorbonne. “1994 erhielt Dib als erster Schriftsteller aus einem nordafrikanischen Land den Grand Prix de la Francophonie der Académie Française für sein Gesamtwerk, das mehr als 30 Werke umfasst und galt seither als Anwärter für den Literaturnobelpreis.“
Nach Reisen durch Osteuropa und die skandinavischen Länder entstanden die «nordischen» Romane, in denen sich skandinavische Mythen und islamische Mystik durchdringen. Übersetzt ist bisher nur der auf die «Nordische Trilogie» («Les Terrasses d’Orsol», 1985; «Le sommeil d’Eve», 1989; «Neiges de marbre», 1990) folgende, in Finnland spielende Roman «Die maurische Infantin». Er verbindet zwei Leitmotive Dibs: das Exil und die Wüste. Je mehr sich die albtraumhafte Lage in Algerien zuspitzte, je unerreichbarer die Heimat in der Realität für einen auch noch so rückkehrwilligen Schriftsteller wurde, desto kühner und kosmopolitischer, spiritueller und resignierter wurden die Träume und Sehnsüchte des so erfolgreichen und doch mehr denn je zerrissenen und sich exiliert fühlenden Autors. In der Figur des von zwei Entwurzelten – einer polnischen Mutter und einem maghrebinischen Vater – abstammenden Mädchens Lyyli Belle erfand Dib eine «maurische Infantin», die in der Schneewüste Finnlands das Versprechen der Wiederkehr jener legendären Zeit verkörpert, in der Christen, Juden und Muslime friedlich in Spanien zusammenlebten und Kunst und Wissenschaft, Handwerk und Ackerbau eine Blütezeit ohnegleichen erlebten.
Das Exil hört erst auf, wenn das Exil kein Exil mehr ist, weil es nicht mehr darauf ankommt, von wo jemand ist. «Und gingen wir in die Wüste: einladend streckte sie uns ihre nackte Hand entgegen.» Ihr verführerischster Abgesandter und Vorbote war Mohammed Dib, residierend im Niemandsland der Dichtung. Quellen: wikipedia.org, www.nzz.ch
Im Verlag Donata Kinzelbach erschienen von Mohammed Dib die beiden Romane ‚Wüsten‘ und ‚Habel‘.
Habel
„Habel“ beschreibt Einsamkeit, Angst und Zweifel eines jungen Mannes im Alptraum Paris; Exil, Liebe und Wahnsinn spiegeln sich in einem Leben wider im Spannungsfeld zwischen Orient und Okzident.
Übersetzung aus dem Französischen von Helga Walter. Verlag Donata Kinzelbach: Mainz 1991
Wüsten
Wie ein Film einer unmöglichen Rückkehr ist diese Geschichte, unbestimmt, nach allen Richtungen offen…
170 Seiten ROMAN aus dem Französischen von Stephan Egghart. Verlag: Donata Kinzelbach, Mainz