Kamel Daoud – Algerischer Journalist und Autor
Kamel Daoud, geboren 1970 in der algerischen Hafenstadt Mostaganem, ist ein algerischer Journalist und Autor und gehört zu den einflussreichsten Journalisten Algeriens: Seine Stimme ist ebenso eigenwillig wie ausdrucksvoll.
Seine Texte sind durch einen lebendigen, poetischen Stil und politischen Scharfsinn geprägt. Er schreibt französisch, begann seine journalistische Laufbahn als Straßenreporter und ist heute Chefredakeur des »Quotidien d’Oran«, in dem er die Kolumne »Raïna Raïkoum« (»Meine Meinung, Eure Meinung«) veröffentlicht. Kamel Daoud bietet, wie er es nennt, »eine tägliche Dosis Subversion« an. In seiner Kolumne im „Quotidien d’Oran“ wagt er es regelmäßig, das Regime des Präsidenten Bouteflika und seine Clique mit Spott und Scharfsinn zu attackieren.
Der algerische Salman Rushdie
Gegen den Bestsellerautor Kamel Daoud hat ein islamistischer Prediger eine Todes-Fatwa ausgesprochen. Die Regierung in Algier schweigt und verweigert dem Bedrohten Personenschutz. Es ist die Antwort eines Literaten, die Kamel Daoud auf die Todesdrohungen gegen ihn gibt: «Faszinierende Frage: Woher kommt es, dass sich manche bedroht fühlen in ihrer Identität, in ihrer religiösen Überzeugung, in ihrer Geschichtsauffassung und ihrer Erinnerung, nur weil jemand anders denkt als sie?», schreibt er.
Unter dem Titel «50 Farbtöne des Hasses» setzt sich der algerische Schriftsteller und Journalist mit den Mechanismen auseinander, den Gesellschaftsstrukturen, dem Gedankengut, die einer Fatwa des salafistischen Predigers Abdel Fattah Hamadache gegen ihn zugrunde liegen.
Auf seiner Facebook-Seite hatte der Anführer der verbotenen Islamisten-Partei «Front de la Sahwa libre» den 44 Jahre alten Bestsellerautor als Apostaten verunglimpft. Der Salafisten-Scheich forderte, den Autor zum Tode zu verurteilen und öffentlich hinzurichten, weil er Gott und dessen Propheten bekriege.
Ermutigt durch IS-Terrormiliz
Seither befeuern islamistische Fernsehsender die Hetze gegen Daoud. «Ich muss um mein Leben fürchten und habe inzwischen Angst, auf die Strasse zu gehen», sagte er DerBund.ch/Newsnet. Er hat Anzeige erstattet gegen den Imam, eine Untersuchung wurde eingeleitet. Aber persönlicher Schutz wird ihm verweigert. Nicht einmal zu einer eindeutigen, scharfen Verurteilung gegen den Mordaufruf hat sich die algerische Regierung bereitgefunden. Der Staat sei schwach, sagt Daoud, der Präsident krank, das Regime in einer Legitimationskrise. Dagegen fühlen sich die Islamisten mit jedem Tag stärker, ermutigt auch durch den Aufstieg der Terrormiliz Islamischer Staat (IS).
Es ist das Klima der Straflosigkeit, das die Fatwa gegen ihn erst möglich gemacht hat, ist Daoud überzeugt. Mit Genugtuung registriert er Solidaritätsbekundungen in Algerien, aus Marokko und Tunesien, aus Europa. «Aber das reicht nicht», sagt er. «Ich verlange, dass die algerische Justiz diesen Imam zur Verantwortung zieht dafür, dass er dazu aufgerufen hat, mich zu töten!» Das wäre zugleich «ein starkes Signal an die Islamisten, dass sie hier nicht alles sagen und tun können, was sie wollen». Seine Heimat zu verlassen, im Ausland Zuflucht zu suchen? Das kommt für den geschiedenen Vater zweier Kinder nicht infrage – noch nicht.
In Algerien hat er sich in 20 Jahren als Kolumnist der Zeitung «Quotidien d’Oran» den Ruf eines unbestechlichen Beobachters und unerschrockenen Kritikers der herrschenden Verhältnisse erworben. In Europa bekannt wurde er spätestens, als sein Debüt-Roman «Meursault – contre-enquète» im vergangenen Sommer in Frankreich Furore machte. Mehrere Literaturpreise gewann der auf Französisch schreibende Autor damit. Das Buch ist gewissermassen eine algerische Antwort auf Albert Camus’ «Der Fremde», die Geschichte des Franzosen Meursault, der am Strand von Algier einen jungen Algerier ermordet. Der wird in dem Klassiker immer nur «der Araber» genannt. Kamel Daoud, der französische Literatur studiert hat, gibt der Figur ihre Identität zurück. «Das beste Mittel, eine Person zu töten, ist, ihr den Namen zu rauben», sagt er. Moussa hat er ihn genannt und lässt die Geschichte vom Bruder des Getöteten schildern, der in einer Bar in Oran versackt. Kamel Daoud benennt die Dinge, die andere verschweigen.
Schlimmer als die Diktatur
Das gilt auch für die Religion und ihre Wirkung auf die Gesellschaft. Es waren Äusserungen des Schriftstellers auf France 2, die den Islamisten aufstiessen. Wenn man in der arabischen Welt «mit der Frage um Gott nicht ins Reine kommt, wird man den Menschen nicht rehabilitieren können, wird man nicht weiterkommen», sagte Daoud. Den Islamismus hatte er zuvor schon als «grössten Feind der Freiheit» gegeisselt, grösser als die Diktatur. «Es gibt Zeiten, in denen Gottheiten töten. Gerade sind wir in einer solchen Zeit», sagte er jüngst in einem Interview. «Die Religion zu reflektieren, auf Distanz zu gehen, die eigene Freiheit gegenüber dem Himmel zu verteidigen, ist daher für mich wichtig, ja sogar lebensnotwendig.» Leider auch lebensgefährlich. (Tages-Anzeiger)
Kamel Daouds Bücher
Kamel Daoud hat in Algerien vier Bücher publiziert: Raïna Raïkoum, eine Sammlung seiner Kolumnen (2002), La Fable du Naïn (Roman, 2003), Ô Pharaon (Roman, 2005), L’Arabe et le vaste pay de ô… (Erzählungen, 2008). Für Letztere hat er 2008 den Mohammed-Dib-Preis erhalten. Le Minotaure 504 erschien 2011 in Paris bei Sabine Wespieser. Mit Minotaurus 504 macht der persona verlag das deutsche Publikum erstmals mit einem Autor bekannt, dessen sozial-politische Analysen und klare Sprache in seiner Heimat umso mehr geschätzt werden, als das algerische Fernsehen staatlich kontroliert ist.Daoud setzt sich für Demokratie und Menschenrechte ein und wurde am 12. Februar 2011 bei einer Solidaritätsdemonstration für den »arabischen Frühling« in Oran unter entwürdigenden Umständen vorübergehend festgenommen.
»Kamel Daoud setzt absichtlich Menschen aus dem Volk in Szene, kleine Leute, abgründige Gestalten,die Underdogs des heutigen Algerien. Aber er lässt sie nicht im Straßenjargon sprechen. … Die vier Erzählungen sind in einem Französisch verfasst, dessen klassische Harmonien der Autor souverän beherrscht. Kamel Daoud plädiert für einen weniger folkloristischen Blick auf die Welt und das Leben. Und damit für einen universelleren.« Le Figaro Littéraire
KAMEL DAOUD im Gespräch mit Libération: »Literatur ist der Beginn einer Lösung, denn sie formuliert meiner Meinung nach den Beginn einer Freiheit, eine Alternative, ein Abweichen von vorgestanzten Bedeutungen. Schreiben ist Befreiung oder Flucht … Indem ich schreibe, widersetze ich mich, und wer liest, bringt damit seinen Freiheitsdrang zum Ausdruck.«
Meursault, contre-enquête Werk
Kamel Daoud letztes Werk heißt „Meursault, contre-enquête“, wurde im Jahre 2013 als „Hommage en forme de contrepoint“ („Würdigung in Form eines Kontrapunkts“) veröffentlicht. „Meursault, contre-enquête“ ist Daouds erster Roman, eine Erzählung, die auf den Erfolgsroman „Der Fremde“ von Albert Camus aufbaut, und nächstes Jahr auch in Deutschland erscheint. In dem Roman rollt Daoud siebzig Jahre später noch einmal die Geschehnisse in Camus Roman auf. Daoud gibt dem Mordopfer, dem „Araber“, nicht nur einen Namen. Er setzt sich auch mit der gewalttätigen Entkolonisierung Algeriens und den vielen Unklarheiten in den algerisch-französischen Beziehungen auseinander; eine kritische Auseinandersetzung mit der Politik von Albert Camus, dem „Franzosen aus Algerien“, und zugleich Hommage an einen großen Autor. Seine algerischen Kritiker haben die gleiche Heimat wie Camus: die französische Sprache. Sie lehnen es ab, in ihm einen politischen Lehrmeister, einen „maître à penser“, zu sehen – und verehren ihn als den Autor, der sie das Schreiben gelehrt hat. Sein letztes Werk heißt „Meursault, contre-enquête“.Quelle: http://www.derbund.ch/