Abdelwahab Meddeb – Tunesischer Schriftsteller
Abdelwahab Meddeb (* 17. 01.1946 in Tunis; † 6.11.2014 in Paris) war einer der profiliertesten Vertreter der französischen Schriftsteller arabischer Herkunft. Das zentrale Anliegen des überzeugten Europäers mit islamischen Wurzeln war das aufklärerische Potential des Islam. Abdelwahab Meddeb stammte aus einer Familie von Theologen und Schriftgelehrten an der Zitûna Universität. Er war der Sohn eines Theologen, der sich auf die juristische Auslegung des Korans spezialisiert hatte. Sein Großvater wirkte als Professor an der im 9. Jahrhundert begründeten Zitouna-Universität. Meddeb kam zum Studieren nach Frankreich: Literatur und Kunstgeschichte in Aix-en-Provence und an der Sorbonne. Seit 1967 lebte er in Paris. Er war als Lektor bei verschiedenen Verlagen tätig, lehrte als Professor an einigen Universitäten, gab die interkulturelle Zeitschrift „dedale“ heraus, produzierte für Radio Culture eine Sendung über islamische Kulturen. Und er schrieb: kulturkritische Abhandlungen, Gedichte und Romane. Er kämpfte gegen die Gewalt der Islamisten und beschwor seine doppelte Herkunft als Muslim und Europäer. In Deutschland sind seine Bücher im Verlag „Das Wunderhorn“ erschienen. „Talismano“ und „Aya“ heißen Meddebs Romane aus den 90er-Jahren.
Ibn Arabis Grab
Abdelwahab Meddeb. Dreisprachige Ausgabe französisch-arabisch-deutsch 149 Seiten, Übersetzung aus dem Französischen: Mohammed Bennis (ins Arabische), Hans Thill (ins Deutsch), Format: 13.5 X 21 cm, gebunden, Erscheinungsjahr: 2004 | ISBN: 978-3-88423-226-2
Dieser Zyklus aus einundsechzig musikalisch organisierten Prosagedichten ist eine Hommage des in Paris lebenden tunesischen Autors an den mittelalterlichen Dichter-Mystiker Ibn Arabi und eine gelungene Verbindung von orientalischer und westlicher Poesie.
In der Liebe zu Aya findet Meddeb die schöne Perserin Nidam wieder, die Ibn Arabi auf seiner Pilgefahrt nach Mekka traf und lieben lernte. Ihr hatte der Mystiker sein Gedicht-Buch »Dolmetsch des heißen Begehrens« mit 61 mythischen Oden gewidmet, mit denen ein neuer Ton in die Poesie des Mittelmeer-Raums kam, der als »dolce stil novo« (Dante) in die Abendländische Dichtung Eingang fand. Meddebs Gedichte atmen die Sinnlichkeit der arabischen Welt, erzählen vom weiten Horizont der Wüste, den Mühen der Reise, den Freuden der Rast, des Essens und Trinkens, der Liebe in der Oase. Von moderner Klarheit, sind sie aufgeladen mit der vielgestaltigen Metaphorik des Gottsuchers Ibn Arabi, die sich mit Stéphane Mallarmés Bemühung um eine Poesie der Reinheit trifft. Arabische Nachdichtung von Mohammed Bennis, deutsche Nachdichtung von Hans Thill.
Buchrezension von Florian Vetsch
Abdelwahab Meddeb, der in Paris lebende Schriftsteller, Sprössling einer alteingesessenen Theologen- und Schriftgelehrtenfamilie aus Tunis, legt mit «Ibn Arabis Grab» dreisprachig – im französischen Original, der deutschen Nachdichtung von Hans Thill und der arabischen von Mohammed Bennis – eine Sammlung mystischer Prosagedichte vor. Er lehnt sich in seinen 61 «Stanzen» an ein Werk von Ibn Arabi (1165-1240) an, den «Tarjuman al-Ashwaq» («Dolmetsch der Begierden»), zu dem den Mystiker die junge Perserin Nidam inspirierte, nachdem er sie in Mekka kennen und lieben gelernt hatte.
Das Werk ist aufgrund seiner mentalen wie sinnlichen Offenheit FundamentalistInnen noch heute ein Stein des Anstosses. Meddeb durchwebt seine bilderreiche Sprache mit Anspielungen auf Ibn Arabis «Dolmetsch der Begierden» und transzendiert das Lieben ins Mys-tische: «In einer Nacht weiht sie dich ein in das Geheimnis, setzt die Riten ausser Kraft, die das Begehren eindämmen, in jedem Hof verehrt, in jedem Tempel, ist sie Zierde für jedes Buch, als sie fortging, rief ich vergeblich nach ihr, meine Geduld trocknet aus, Stapel für Stapel, ihre Schönheit bewahre ich in mir, ihrem Glanz gelten meine Ausflüge in die Verschwendung.»
Zu Ibn Arabi sollen die Weisheiten wie Gazellen vom Himmel herabgestiegen sein; und auch vor Meddebs innerem Auge kristallisieren sich zart, fast durchscheinend Gazellen, wenn er schreibt: «Erklimme die Stufen Schritt für Schritt, betrachte von oben die verlassenen Klöster der Wüste, marmorne Säulen, teilweise aufrecht, Frontgiebel in Trümmern, dort weiden Gazellen, schlank, zerbrechlich, auf der Hut, ängstlich, zitternde Adern unter der Haut, der Schweiss ein Tuch.»
Meddeb entwickelt in «Ibn Arabis Grab» eine vielschichtige Sprache der Zärtlichkeit. Dem Wunderhorn-Verlag ist mit der dreisprachigen Ausgabe von Abdelwahab Meddebs Gedichtsammlung ein Kleinod interkultureller Vermittlung geglückt.
Übersetzung:
Mohammed Bennis.
Hans Thill, geboren 1954 in Baden-Baden, lebt seit 1974 in Heidelberg als Lyriker und Übersetzer. Peter-Huchel-Preis 2004. Mitbegründer des Verlags Das Wunderhorn. Leiter der jährlichen Übersetzer-Werkstatt »Poesie der Nachbarn. Dichter übersetzen Dichter« und Herausgeber der gleichnamigen Reihe. Mitherausgeber der »Reihe P«. Im September 2010 wird Hans Thill künstlerischer Leiter des Künstlerhaus Edenkoben. Quelle: wunderhorn.de, wikipedia.org