Youssouf Amine Elalamy – Marokkanischer Autor
Youssouf Amine Elalamy wurde 1961 im marokkanischen Larache geboren und lebt in Rabat. Er promovierte im Fach Kommunikations-wissenschaften und veröffentlichte im In- und Ausland zahlreiche Artikel zu Kunst, Fotografie, Mode und Werbung. 1991 ging er mit einem Fulbright-Stipendium nach New York und kehrte drei Jahre später in sein Heimatland zurück. Hier lehrt er als Professor für Stilistik, Kommunikation und Medien an der Ibn-Tofaï-Universität in Kenitra.
Das Interesse an Details und Ausdrucksformen, die Zusammensetzung von Diskursen und deren mediale Vermittlung prägen Elalamys literarisches und bildnerisches Werk. 1998 veröffentlichte er den ersten Teil seiner Tetralogie zum Thema Emigration. »Un Marocain à New York« (1998; Ü: Ein Marokkaner in New York) versammelt Eindrücke aus der Begegnung mit einer völlig fremden Kultur. »Les clandestins« (2001; dt. »Gestrandet«, 2008) erzählt nicht nur vom Schicksal von 13 Flüchtlingen, die nach dem Kentern ihres Bootes in der Straße von Gibraltar an einen Strand gespült werden, sondern entwickelt auch ihre individuellen Vorgeschichten. »Paris mon bled« (2002; Paris, mein Hinterland) gibt Einblick in die heterogene Kultur marokkanischer Einwanderer der dritten Generation in der französischen Hauptstadt. Meisterhaft zusammengefügte Mischformen disparater Elemente, unterschiedliche Erzählperspektiven, Handlungsstränge, Textstile und eine große Bildhaftigkeit kennzeichnen die Erzählweise des Autors, die sich an moderner Literatur und zunehmend an der Rap-Poetik orientiert. Es entsteht ein schillerndes Spannungsfeld zwischen Tradition und Modernität, Gewalt und Intimität, Religiosität und Profanität, Arm und Reich, Mann und Frau.
Elalamys letzte vier Werke sind in Marokko angesiedelt, darunter »Miniatures« (2004), ein Kaleidoskop von 50 lebensweltlichen Mikrokosmen. Sie bieten sich für die Überschreitung der Gattungsgrenze an und inspirierte den Autor zu Bild-Collagen, die auf mehreren Ausstellungen gezeigt wurden. Die ersten auf Darija, dem marokkanischen Dialekt des Arabischen, verfassten Geschichten »Tqarqib Ennab« (2006; Ü: Klatsch) wurden auch für die Bühne adaptiert. Elalamys jüngster Roman »Nomade« (2009) wurde als urbane Installation in Marrakesch, Rotterdam und Rabat präsentiert.
Elalamy nahm als bildender Künstler und Kurator an verschiedenen internationalen Ausstellungen teil – u.a. an »Soundcape« im Berliner Haus der Kulturen der Welt und am Festival von Avignon mit einer Inszenierung von »Gestrandet«. Zu seinen Auszeichnungen gehören der Kurzgeschichtenpreis des British Council und der Prix Grand Atlas. Elalamy ist Gründungsmitglied und Generalsekretär des Marokkanischen PEN-Clubs. Quelle – www.literaturfestival.com
Gestrandet (Literatur aus dem Maghreb) – Roman von Y.A. Elalamy
aus dem Französischen von Barbara Gantner, Verlag Donata Kinzelbach Mainz Okt. 2008.
In seinem Roman »Gestrandet« schildert der marokkanische Autor Youssouf Amine Elalamy die Geschichte von zwölf Männern und einer Frau, die versuchen illegal mit einem Boot von Marokko nach Europa zu gelangen. Jeder hat seine eigenen Wünsche und Hoffnungen, die der Schiffsbruch zunichte macht. In seinem hoch poetischen und ergreifenden Oratorium lässt der Autor die Gestrandeten auftreten und ihr individuelles Schicksal vortragen. Darunter mischen sich die Stimmen der trauernden Hinterbliebenen. Elalamy zeigt, welche persönlichen Geschichten sich hinter den nüchternen Statistiken angeschwemmter Leichen verbergen. Y.A. Elalamy hat mit diesem Buch um die Bootsflüchtlingsdramatik ein Meisterwerk vorgelegt. In seiner Heimat mit dem höchsten Literaturpreis bedacht, fand und findet das Buch auch in Deutschland große Resonanz – nicht zuletzt wegen der bis zum heutigen Tag gegebenen Aktualität des Buches. Was das Buch auszeichnet: die emotionale Nähe des Autors zu den Protagonisten, der uns diese in die Herzen schreibt.
Rezension im NEUEN DEUTSCHLAND von Friedemann Kluge (Auszug):
Youssouf Amine Elalamy: Literarisches Meisterwerk aus Marokko… Aber wie sie erzählt wird, mit welcher Sprachgewalt, auf welch virtuose Weise Elalamy das Stilmittel der Wiederholung handhabt, das ist meisterlich! In der deutschen Literatur gibt es Vergleichbares nur injenem wohl berühmtesten deutschen Gedicht des 20. Jahrhunderts, Paul Celans »Todesfuge«. Und es ist keineswegs vermessen, Elalamys Roman mit diesem Gedicht zu vergleichen: Auch er erzählt eine »Todesfuge«, allerdings prosaisch, in des Wortes doppelter Bedeutung. Jeden der tödlich Gestrandeten zitiert der Autor herbei, jeden lässt er seine Geschichte und die Geschichte seines Todes selbst erzählen, und jeder Tod ist jedesmal genau derselbe und jeder Tod ist jedesmal doch ganz anders. »All diese Geschichten und all diese Wörter, die ertrunken auf dem Grund des Ozeans liegen. Haufenweise Wörter, Tausende von Wörtern, Wörter aller Farben, wie Fische im Wasser«.
Deutschlandfunk, Büchermarkt 26.02.2009, Schicksale afrikanischer Flüchtlinge von Kersten Knipp
Der marokkanische Autor Youssouf Amine Elalamy, geboren 1961, setzt all jenen afrikanischen Flüchtlingen ein literarisches Denkmal, die ihre Hoffnung auf Zukunft mit dem Leben bezahlten. Zwölf verschiedene Figuren, zwölf unterschiedliche Schicksale.
Zwölf Tote. Zwölf mal ausgelöschtes Leben, zwölf mal vernichtete Hoffnung. Das Meer hat nicht mitgespielt in dieser Nacht. Es war stürmischer als erwartet, und das Boot war kleiner als es hätte sein dürfen. Mit so einem Gefährt kommt man nicht über das Mittelmeer, es kentert schon nach wenigen Kilometern – aber zu vielen Kilometern, als dass die Insassen sich noch an Land hätten retten können. Sie ertrinken, allesamt. Und sie werden bei dem Dorf Bnidar, irgendwo an der marokkanischen Mittelmeerküste, wieder an Land gespült. Den Lebenden bleibt nichts, als die Toten zu identifizieren. Auch jener älteren Frau nicht, die sich anschleppt von irgendwo, um Gewissheit über das zu bekommen, was sie längst ahnt: auch Louafi, ihr Sohn ist unter den Toten.
Der marokkanische Autor Youssouf Amine Elalamy, geboren 1961, hat in seinem Roman „Gestrandet“ all jenen afrikanischen Flüchtlingen ein literarisches Denkmal gesetzt, die ihre Hoffnung auf Zukunft mit dem Leben bezahlten. Zwölf verschiedene Figuren, zwölf unterschiedliche Schicksale. Die Flucht vor einer starren Tradition. Eine ungewollte Schwangerschaft und die Entehrung, die sie bedeutet. Die Angst vor dem autoritären Staat. Und natürlich die Armut. Elalamy hat ein breites Panorama der Varianten des Unglücks entfaltet. In einer weichen, sehr poetischen Sprache macht er empfänglich für das Schicksal des Einzelnen, gibt den anonymen Toten ein Gesicht, zeigt gerade dem europäischen Leser, welche persönlichen Geschichten sich hinter den Statistiken angeschwemmter Leichen verstecken. Etwa die der jungen Chama. Sie erwartet ein Kind, obwohl sie nicht verheiratet ist. Eine junge, betörend schöne Frau; eine von denen, die, wie selbstverständlich männliche Bewunderung erweckten
In Deutschland kannte man bislang vor allem einen maghrebinischen Roman, der sich mit der Flüchtlingsproblematik auseinandersetzt: „Verlassen“ des marokkanischen Autors Tahar Ben Jalloun. Das mag daran liegen, dass Ben Jalloun bei uns ohnehin der bekannteste marokkanische Autor ist. Gegen seine Prominenz ist nichts einzuwenden. Allerdings verdeckt sie den Blick auf viele andere Autoren aus der Region – Autoren, die einen sehr anspruchsvollen Stil pflegen. Elalamy gehört zu jener gar nicht so kleinen Gruppe maghrebinischer Schriftsteller, die das Programm der westlichen literarischen Moderne sehr genau kennen; die Faulkner, Joyce, Proust gelesen haben und sich der Standards bewusst sind, die diese Autoren gesetzt haben.
Allerdings kommen sie aus einer Region, die viele westliche Leser immer noch unter den Vorzeichen der Exotik sehen. Wie vollendet viele maghrebinische Schriftsteller ihre Kunst beherrschen, gerät darum zu oft aus dem Blick. Mohamed Choukri, Rached Boudjedra, Driss Chraibi, um nur ein paar zu nennen: Sie alle schreiben Bücher, die auch formal betören, einen Stilwillen haben, den auch Elalamy pflegt. Denn sein Thema, der Tod im Mittelmeer, ist ungeheuer dramatisch. Natürlich nutzt Elalamy diese Dramatik. Aber sein Roman geht nicht darin auf. Er geht auf Distanz, nimmt weitere Wege, erzählt Geschichten und Vorgeschichten.
Erlebte Rede und innerer Monolog, das sind Stilmittel, um den Protagonisten in die Seele zu schauen, zu erfahren, wie sie die Welt sehen. Und das heißt in diesem Fall auch, wie sehr sie an ihr leiden, wie es sie bedrückt, ihr Leben, ihre Vorstellungen nicht verwirklichen zu können. Man könnte das als engagierte Literatur im schlechten Sinne bezeichnen – wenn sie nicht so geschrieben wäre, wie sie geschrieben ist. Ein melancholischer Ton zieht sich durch das Buch, und er trägt ebenso wie die Geschichte selbst. Und das ist ja die eigentliche Macht der Literatur: dass sie den Leser durch eine Stimmung anrührt, eine Atmosphäre, die direkt der Sprache entspringt. Einer Sprache allerdings, die auch harte Brüche kennt. Etwa dann, wenn der Autor ein Foto vom Strand und den Ertrunkenen beschreibt.
„Lässt sich der Tod überhaupt ästhetisch in Szene setzen? Ja, er lässt sich, Elalamy hat es in seinem Roman bewiesen. Doch das gelingt nur, indem er den Tod, genauer: die Leichen, immer wieder in Großaufnahme zeigt, sie also beschreibt mit all den Wunden, die sie sich bei der Überfahrt und dann während der langen Stunden im Wasser zugezogen haben. Und indem er sie beschreibt, hält Elalamy den Roman ästhetisch im Gleichgewicht. Die deprimierende Szenerie des Fotos, die zynischen Ästheten so sehr stören mag – sie verleiht dem Roman seinen Realismus und bewahrt ihn so davor, zum bloßen Rührstück zu verkommen.“