Leo Africanus – Der päpstliche Muslim
Leo Africanus (* um 1486 in Granada; † nach 1550 in Tunis) ist eine schillernde Figur der Renaissance, ein Vermittler zwischen den Kulturen, zwischen Nordafrika und Europa. Der Versuch, Islam und Christentum miteinander zu vereinen und gleichzeitig zu leben, reicht weiter zurück, als man denkt.
Geboren als Al-Hasan ibn Muhammad al-Wazzan in Granada, muss der Junge die Stadt mit seiner Familie verlassen, als die katholische Reconquista das Leben der Muslime bedrohte und die Stadt von den Christen zurückerobert wurde (1492). Im marokkanischen Fes studiert der begabte Knabe bei Koran- und Rechtsgelehrten, auf Reisen mit einem Onkel lernt er verschiedene Gesellschaften Nordafrikas kennen und wird Gesandter des Sultans von Fes. Diplomatisches Geschick und Weltgewandtheit zeichnen den Mann bereits aus, als er 1518 beim Überfall auf ein Schiff zum Gefangenen von Mittelmeerpiraten wird. Da der Bruder des Chefpiraten als Kardinal am Vatikan wirkt, beschließt der Seeräuber, seine feine Beute dem Papst zum Geschenk zu machen. Al-Wazzan wird nach Rom auf die Engelsburg verschleppt, wo er bald als Edelhäftling die vatikanische Bibliothek nutzen kann. Dort findet Zemon Davis die Bücher und Manuskripte, die Al-Hasan al-Wazzan ausleihen durfte, sie folgt ihm damit in seine so jäh veränderte Welt.
Leo Africanus – Ein Reisender zwischen Orient und Okzident.
Natalie Zemon Davis
Aus dem Englischen von Gennaro Ghirardelli.
Sachbuch. 2008, 400 Seiten. Gebunden mit Schildchen und Prägung. Mit zahlreichen Abbildungen 19,90 €.
Natalie Zemon Davis, 1928 in Detroit geboren, ist Historikerin und eine der wichtigsten Vordenkerinnen der interdisziplinären Kulturwissenschaft. Sie unterrichtete in Berkeley, Oxford und Princeton. Seit ihrer Emeritierung 1996 lebt sie als freie Schrifstellerin in Toronto und ist dort wieder an der Universität tätig.
Die große Historikerin Natalie Zemon Davis erzählt die exemplarische Lebensgeschichte des Leo Africanus in „Leo Africanus. Ein Reisender zwischen Orient und Okzident“ wie einen Abenteuerroman: als Muslim geboren, von Katholiken vertrieben, von Piraten gefangengenommen und vom Papst getauft.
Natalie Zemonin Davis hat das Leben von al-Wazzan auf eine Weise ausgeleuchtet, die einem Mann lebhaft vor Augen führt: seine Interessen, seinen Charakter, seine Lebensumstände. „Leo Africanus“ liest sich spannend wie ein Roman, dem man nicht anmerkt, dass er sich aus Tausenden historischer Indizien zusammensetzt. Spürbar ist das überbordende Interesse an der Epoche und ihren Akteuren. Gewissermaßen nebenher entfaltet sich das Panorama der Zeitgenossen in Nordafrika und Europa: Geschichte, wie sie besser kaum geschrieben werden kann.
Den Papst treibt der ideologische Kampf gegen das aufkommende Luthertum, und er hegt Pläne für Kreuzzüge gegen die Türken. Einen Muslim mit erstklassiger Kenntnis des Arabischen will er zu seinen Nutzen einsetzen. Der wiederum steht offenbar vor der Wahl, Häftling zu bleiben oder Täufling zu werden. Er konvertiert. Papst Leo X. persönlich tauft ihn im Petersdom auf seinen Namen. Bis zu seiner Flucht 1527 ist Yuhanna al-Asad, wie sich al-Wazzan nun nennt, als Arabischlehrer, Übersetzer und Autor in Rom und Bologna tätig und schreibt eine Sprache, bei der die Grenzen zwischen Latein, Italienisch und Spanisch manchmal verfließen. Die ruhige Begeisterung, mit der Zemon Davis erzählt, spannt einen kunstvollen Bogen zwischen Makro- und Mikrohistorie.
Mit Jacob Mantino, einem Juden aus Bologna, arbeitete er an einem arabisch-hebräisch-lateinischen Wörterbuch; er schrieb ein Buch über die arabische Verslehre und stellte Biografien berühmter Araber zusammen. Sein bedeutendstes Werk, das »Libro de la Cosmographia et Geographia de Affrica« vollendete Leo Africanus am 10. März 1526. Wir kennen es aus einer 939 Seiten langen Abschrift aus dem 16. Jahrhundert, die in der Biblioteca Nazionale Centrale in Rom aufbewahrt wird. Das Afrikabuch ist sowohl Beschreibung als auch Kommentar; Leo Africanus wechselte als Autor bewusst zwischen den Perspektiven der Afrikaner und Europäer, der Muslime und Christen. Bemerkenswert ist, wie respektvoll Leo Africanus mit allen drei Schriftreligionen umging, mit Islam, Judentum und Christentum.
Mit dem Roman „Leo Africanus“ hat der libanesische Schriftsteller Amin Maalouf einen Bestseller geschrieben und das unglaublich bewegte Leben seines Protagonisten zwischen Orient und Okzident, zwischen Christentum und Islam, zwischen Flucht und Prunk, Diplomatie und Krieg im 16. Jahrhundert fiktional gestaltet.
Amin Maalouf wurde 1949 im Libanon geboren und lebt seit 1976 als Journalist und Schriftsteller in Frankreich. Er bereiste über sechzig Länder und gilt als anerkannter Spezialist für Fragen der arabischen Welt und der Beziehungen zwischen Okzident und dem Nahen Osten. Amin Maalouf war Chefredakteur der Wochenzeitschrift An Nahar International sowie des Magazins Jeune Afrique, während des Vietnamkriegs und der Islamischen Revolution arbeitete er als Kriegsberichterstatter.
Als Buchautor hat er bisher sieben Romane veröffentlicht, seine Werke sind in etwa 25 Sprachen übersetzt worden und sein erstes Werk Die Kreuzzüge aus der Sicht der Araber (1983) ist zu einem Standardwerk geworden.
Im August 2000 wurde bei den Salzburger Festspielen (in Zusammenarbeit mit der finnischen Komponistin Kija Saariaho) die erste Oper nach einem Libretto des Autors uraufgeführt: L’amour de loin.